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ICE-Trasse Wendlingen-Ulm: Reicht der Brandschutz?

ICE-Trasse Wendlingen-Ulm: Reicht der Brandschutz?

Fünf Feuerwehren übten am Samstag am Albvorlandtunnel den Ernstfall. Kritiker sagen seit Jahren, dass die Tunnel des Bahnprojekts Stuttgart 21 nicht sicher sind. Die Feuerwehren dürfen über die Übung nicht sprechen.

WENDLINGEN. Circa 650 Feuerwehrleute übten am Samstag am Albvorlandtunnel. Der Termin war lange bekannt. Mit dabei waren unter anderem die Feuerwehren von Wendlingen, Köngen, Oberboihingen, Unterensingen, Kirchheim, Dettingen und Filderstadt. Denn sie sind diejenigen, die im Einsatz sind, wenn der Tunnel in Betrieb ist und dort ein Unfall passiert oder sich gar ein Brand ereignet. Da die ICE-Trasse nach Ulm im Dezember in Betrieb geht, war die Veranstaltung am Samstag die letzte Gelegenheit für die Floriansjünger, den Einsatz im Tunnel zu üben. Vielleicht auch die letzte Gelegenheit, dabei eventuelle technische oder bauliche Defizite zu entdecken, die im Ernstfall zum Problem werden könnten und deswegen vielleicht noch nachgebessert werden müssen.

Ebenfalls bei der Übung dabei waren Landrat Heinz Eininger sowie einige Bürgermeister. Die Presse war nicht zugelassen. In einem internen Papier war gar die Rede davon, dass nur autorisierte Personen mit Vertretern der Presse sprechen dürfen und auch nur autorisierte Personen im Tunnel fotografieren dürfen. Zu Dokumentationszwecken, nicht zur Weitergabe an die Presse. Die Feuerwehren, die in ihren Orten regelmäßig öffentliche Übungen abhalten, zeigten sich ob der Restriktionen ein wenig irritiert.

Der Brandschutz ist eines der umstrittensten Themen von Stuttgart 21. Die Projektingenieure der Bahn sind davon überzeugt, dass die Tunnel, durch die die ICE ab Dezember mit 250 Stundenkilometern hindurchrasen, absolut sicher sind. Dass Unfälle oder gar Brände im Tunnel ohnehin so gut wie ausgeschlossen sind.

Zugbrände sind gar nicht so selten

Indes, 2018 geriet ein ICE bei Montabaur in Brand. Auf freier Strecke, nicht in einem Tunnel. Der Grund: Eine gebrochene Stange, die einen der beiden Haupttransformatoren, die unter dem Zug montiert sind, zusammenhalten musste. Der Ermüdungsbruch löste einen Kurzschluss am Transformator aus. Der Zug war ohne Antrieb, kurz vor Einfahrt in eine 2,4 Kilometer lange, steile Tunnelkombination. Mit dem Schwung der 270 Stundenkilometer konnte er den Tunnel wieder verlassen. 510 Passagiere saßen in diesem ICE, die Evakuierung auf freier Strecke dauerte überraschend lang, nämlich 45 Minuten.

Seitdem gab es bis 2021 etwa 20 weitere Brandereignisse an ICE. Auf freier Strecke und in Bahnhöfen. Recherchiert hat sie Christoph Engelhardt. Nachzulesen sind sie auf der Faktencheck-Plattform WikiReal.org. Engelhardt war 2011 Experte in der „Stresstest-Präsentation“ mit Schlichter Heiner Geißler. Der Physiker, der unter anderem für Siemens als Konzernstratege gearbeitet hat, gehört zu den Projektkritikern, hat immer wieder auf die Mängel beim Brandschutz hingewiesen. Seine Kritik bezog sich seither vor allem auf den Fildertunnel, den letzten Tunnel vor dem Stuttgarter Tiefbahnhof, dessen Röhre wie die der anderen Zulauftunnel zum Stuttgart 21-Tiefbahnhof besonders eng ist.

Doch auch der Albvorlandtunnel gehört für Engelhardt zu einem der gefährlichsten Tunnel Europas. Warum? Engelhardt vergleicht den Albvorlandtunnel und die Tunnel der Neubaustrecke mit dem Eurotunnel, der 50 Kilometer zwischen Frankreich und England unter dem Ärmelkanal verläuft. Auch er ist ein Tunnel mit zwei Röhren. „Der Eurotunnel hat enge Rettungswege aber ein aufwendiges Belüftungs- und Entrauchungssystem sowie eine dritte Fluchtröhre“, sagt Engelhardt. Am Albvorlandtunnel gibt es keine Belüftung.

Engelhardt kritisiert auch die Evakuierungsberechnungen der Bahn: „Der kritischste Punkt, die engen Rettungswege neben dem Zug, wurden ausgeblendet und so getan, als könnten dort beliebig viele Menschen nebeneinander gehen. Die Zustimmung der Feuerwehr wurde mit einer skizzierten Evakuierung durch drei Rettungsstollen in rechnerisch elf Minuten erwirkt.“

Reicht ein Querschlag alle 500 Meter?

Das beim Eisenbahnbundesamt eingereichte Konzept berücksichtige nur noch zwei Stollen und eine Evakuierung innerhalb von 15 Minuten. Für Engelhardt hat daher die Genehmigung schon formal keinen Bestand. „Die 15 Minuten sind die sogenannte »Evakuierungszielzeit« der Bahn, diese Zeit ist aber bei den schmalen Rettungswegen nicht für die bis zu 1757 Reisenden, die in den Zügen auf der Neubaustrecke unterwegs sein sollen, erreichbar“, sagt er.

Wie kommt der Rollifahrer aus dem Zug?

Der Weg in die Gegenröhre, die im Ernstfall zur Rettungsröhre wird, führt über sogenannte Querschläge. Ursprünglich waren sie alle 1000 Meter vorgesehen. Damit waren die Feuerwehren, die für den Katastrophenschutz an den S-21-Tunneln zuständig sind, nicht einverstanden. Schließlich forderte die Europäische Union Querschläge alle 500 Meter. Dabei wird international zumeist weit darunter geplant, um die rechtzeitige Evakuierung zu ermöglichen.“ Zum Vergleich: der 57 Kilometer lange Gotthardbasistunnel, geplant noch in den 1990er Jahren, fertiggestellt im Jahr 2016, hat alle 325 Meter einen solchen Querschlag, Im französisch-spanischen Perthus-Tunnel sind es nur 200 Meter bis ein Querschlag kommen muss.

Viele Fragen. . . 

Nicht im Evakuierungskonzept berücksichtigt sind außerdem offenbar ältere oder mobilitätseingeschränkte Personen wie Rollstuhlfahrer. Oder aber Mütter mit kleinen Kindern, die mehr Platz brauchen, auch auf den Rettungswegen. Doch wie kann ein Rollstuhlfahrer, der seine Fahrt ja extra anmelden muss, um Hilfe beim Zustieg in den Zug zu erhalten, diesen Zug im Notfall wieder verlassen? Ein E-Rollstuhl ist schwer, der Mensch darin ebenfalls. Trägt ein Mitreisender den Menschen hinaus und den Rollstuhl hinterher? Und wie kommt der Rollifahrer dann in dem Gewusel panischer Menschen in die andere Tunnelröhre?

Wir fragten beim Eisenbahnbundesamt (EBA) nach, ob die Simulation eines Kaltereignisses nach Auffassung der Genehmigungsbehörde genügt. Und ob bei derartigen Simulationen auch in ihrer Mobilität beschränkte Personen berücksichtigt werden müssen. Stimmt das EBA der Auffassung zu, es sei nicht sehr wahrscheinlich, dass ein brennender Zug im Tunnel zum Stehen komme, ein Lokführer einen brennenden Zug also durchaus noch aus dem Tunnel manövrieren könne, damit die Fahrgäste auf freiem Feld evakuiert werden können? Kann das EBA ausschließen, dass es bei einem Brand in einem der S21-Tunnel zu einer Zwangsbremsung kommt und der Zug dann nicht mehr weiterfahren kann? Wie lange dauert die Evakuierung eines voll besetzten Zugs, der rund 1750 Fahrgäste aufnehmen kann? Kann es sein, dass maximal 15 Minuten ausreichen, wie die Bahn annimmt? Und wie erklärt das Eisenbahnbundesamt dann, dass die Evakuierung eines brennenden ICE bei Montabaur 2018 bei nur 500 Fahrgästen auf freier Strecke über 45 Minuten gedauert hatte?

. . .  wenige Antworten

Die Genehmigungsbehörde ging auf die einzelnen Fragen nicht konkret ein, sondern antwortete, es lägen derzeit keine Informationen vor, die die Wirksamkeit der Anforderungen infrage stellten. „Die für das Vorhaben relevanten Aspekte des Brandschutzes wurden und werden zudem im Rahmen der dafür vorgesehenen behördlichen Verfahren oder gegebenenfalls auch in gerichtlichen Verfahren erörtert und geklärt“, schreibt das EBA. Auch die Tunnel im Rahmen des Projektes S21 seien entsprechend den anerkannten Regeln der Technik sowie der Technischen Baubestimmungen geplant. Die detaillierte Ausführungsplanung wie auch betriebliche Regelungen zum Brandschutz seien nicht Gegenstand der Planfeststellung, entsprechende Dokumentationen müsse die Vorhabenträgerin erst im Verfahren zur Inbetriebnahmegenehmigung vorlegen. „Für Tunnel ist ein Rettungskonzept aufzustellen, das die Selbst- und Fremdrettung gewährleistet. Die nach dem Rettungskonzept notwendigen Maßnahmen sind bereits während der Planung mit den zuständigen Stellen des Landes abzustimmen“, so die Behörde.

Die Vorhabenträgerin ist die Deutsche Bahn, vertreten durch die Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm. Auch hier fragten wir nach. Und erhielten zur Antwort: „Die im Rahmen der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm entstehenden Tunnel erfüllen alle strengen Sicherheitsanforderungen: Das Eisenbahn-Bundesamt hat als zuständige Behörde das Brandschutzkonzept für die Tunnel geprüft und genehmigt. Die Deutsche Bahn plant und arbeitet auf Basis der anerkannten Regeln der Technik, hierzu zählen gesetzliche europäische und nationale Grundlagen sowie sämtliche Regelwerke und Vorgaben der Behörden. Auf Grundlage dieser hohen Sicherheitsstandards betreiben wir im deutschen Schienennetz Tunnel mit einer Gesamtlänge von rund 600 Kilometern.“

In Plochingen brannte eine Zugachse

Und die Übung? Auf dem Radweg oberhalb des Tunnels standen denn doch einige Menschen, um zuzuschauen. Gegen 9 Uhr fuhr der mit Statisten besetzte ICE durch den Tunnel der Güterzuganbindung auf das Bahngelände und weiter in den Albvorlandtunnel. Die Statisten hatten sich am Bahnhof in Wendlingen getroffen, waren geschminkt worden, um verletzte Personen darzustellen.

Für 9.30 Uhr war die Alarmierung vorgesehen. Doch etwa eine dreiviertel Stunde tat sich nichts. Der Grund sprach sich schließlich auch bei den Zuschauern herum: Im Plochinger Bahnhof brannte eine Zugachse. Nicht dramatisch, weil rechtzeitig und in einem Bahnhof entdeckt. Auf der Homepage der Plochinger Feuerwehr konnte man nachlesen, dass der Lokführer den Brand alleine löschen konnte, die Feuerwehr Plochingen kühlte dann die noch immer sehr heiße Achse, bis sicher war, dass dort nichts mehr zu brennen anfängt.

Schließlich kamen jedoch die ersten Fahrzeuge der Feuerwehren aus Wendlingen und Köngen ohne Martinshorn und ohne Hektik zum Tunnelportal des Albvorlandtunnels gefahren. Ein Rüstwagen versorgte die Stoßtrupps mit den Langzeit-Atemschutzgeräten. Das A und O im Ernstfall ist natürlich Sorgfalt, überlegtes Vorgehen und der Eigenschutz der Retter.

Für Zuschauer, die von außen und ohne das Einsatzszenario zu kennen, auf das Geschehen vor dem Tunnelportal blickten, dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis die ersten beiden Fahrzeuge in den Tunnel einfuhren. Der ICE soll etwa in die Mitte des 8174 Meter langen Tunnels gefahren worden sein, daher bewegte sich die Feuerwehr mit ihren Fahrzeugen hier möglicherweise auch noch auf mehr oder weniger unbekanntem Terrain. Die Nebelmaschine der Feuerwehr Unterensingen sorgte für ein einigermaßen realistisches Szenario. Wie das konkret aussah, war den Zuschauern nicht klar. Vielleicht, so die Überlegung, war die Wendlinger Seite des Tunnels fürs Löschen zuständig, während auf der Kirchheimer Seite die Personenrettung stattfand?

Dann tauchten sie auf, die „unverletzten Passagiere“. Sie marschierten aus der Südröhre des Albvorlandtunnels. Die Zuschauer fragten sich, warum sie nicht von DRK oder Maltesern in Empfang genommen wurden. „Auch Unverletzte wären doch im Ernstfall sicher erschöpft, ängstlich und hätten einiges an Rauch eingeatmet“, sagte einer.

Zu hören war auch, dass die Ausrüstung, die die Wehren eigentlich brauchen, um im Tunnel ihren Job zu machen, noch gar nicht geliefert wurde. Unter anderen auch nicht der Gerätewagen der Wendlinger Wehr. Geübt wurde daher mit der Ausrüstung, die von der Baufirma zur Verfügung gestellt wurde. Wäre die Ausrüstung an einer anderen Tunnelbaustelle benötigt worden, wäre hier gar nichts vorhanden gewesen, überlegte ein Feuerwehrmann.

Die Pressesprecherin des Landkreises, Andrea Wangner, hatte eine Pressemitteilung zur Übung angekündigt. Sie kam am Wochenende nicht mehr.

(Quelle: Artikel der Wendlinger Zeitung vom 24.10.2022)

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